Das neue Buch von Mary Taylor und Richard Freeman
Für viele, die Ashtanga Yoga praktizieren, ist Richard Freeman ein bekannter Name: er ist eine sehr eigene Mischung aus Yoga Lehrer (seine Frau und er nennen sich „yogische Lehrer“), Buddhist und Philosoph. Gemeinsam mit Mary Taylor, seiner Frau, hat er lange in Boulder, Colorado, USA ein Ashtanga Studio geleitet, Lehrerausbildungen angeboten und auch sehr viel international unterrichtet. Das Studio in Boulder ist jetzt an die nächste Generation weitergegeben (Ty Landrum), und Mary und Richard haben sich auf Koh Samui in Thailand einen neuen Lebensschwerpunkt aufgebaut. Dort trifft man sie – wenn nicht gerade Lockdown ist oder Einreisebeschränkungen für Ausländer nach Thailand gelten – regelmäßig in dem Yoga Retreat Samahita. Sie sind auch sehr präsent im Internet mit vielen – auch für nicht-Ashtangis interessanten – Beiträgen.
Ende September kam ihr neuestes gemeinsames Buch heraus: „When love comes to light – Bringing wisdom from the Bhagavad Gītā into modern life.“ („Wenn Liebe ans Licht kommt – Weisheit aus der Bhagavad Gītā ins moderne Leben bringen.“, meine Übersetzung).
Die Bhagavad Gītā
Die Bhagavad Gītā (oder kürzer einfach die Gītā) ist die Darstellung einer sehr kurzen Episode innerhalb eines viel größeren Dramas, der Mahābhārata. Dieses gigantische Werk schildert in über ca. 100.000 Versen den Kampf zwischen zwei miteinander verwandten Familien, den Kaurava und den Pāṇdava. Die Mahābhārata ist das längste Gedicht der Welt – zehn Mal länger als die Odysseus und die Iliad von Homer zusammen genommen. Sie ist ca. 2.500 Jahre alt, hat ihre endgültige Form dann aber erst 1.000 Jahre später erhalten (wobei es auch heute noch viele verschiedene Versionen gibt).
Die Gītā mit ihren gut bewältigbaren 700 Versen beschreibt eine einzige Szene aus diesem Drama: den Moment vor der großen Schlacht zwischen den Heeren, die die beide Familien gegeneinander ins Feld führen.
Kṛṣṇa unterrichtet Arjuna, zwischen den beiden gegnerischen Heeren
Die Gītā schildert einen Dialog zwischen Arjuna, einem der Brüder der Pāṇdava, und seinem Wagenlenker, Kṛṣṇa. Kṛṣṇa ist im Hauptberuf allerdings die hinduistische Gottheit für Freude und Mitgefühl – und er stellt sich als liebender Lehrer für Arjuna heraus, als diesen vor der Schlacht gegen seine Verwandten, Freunde und Spielgefährten aus der Jungend der Mut verlässt. Diese Unterrichtung ist auch der Grund für den Namen: Bhagavad Gītā kann übersetzt werden als „Der Gesang Gottes“.
Die Inhalte des Buches
Das Buch von Mary und Richard ist aus meiner Sicht eine sehr gelungene und interessante Verbindung einer innovativen und gleichzeitig knappen Einführung in die Bhagavad Gītā. Es enthält eine neue, teilweise etwas kreative Übersetzung der Gītā. Im Anhang findet sich außerdem eine praktische Anleitung, wie man die wesentlichen Lehren aus der Gītā in den eigenen Körper und damit hoffentlich auch in das eigene Leben bringt. Man könnte meinen, dass Mary und Richard das gesamte Buch geschrieben haben, um uns einen weiteren Grund zu geben zu meditieren, Āsanas und Prāṇāyāma zu praktizieren und achtsam zu leben.
Wie verhält man sich würdig, wenn man in eine Auseinandersetzung gerät und Gewissensbisse hat, obwohl man fühlt, was richtig wäre zu tun? Gibt es eine höhere Sicht auf die Dinge? Was ist unsere Aufgabe, unsere Pflicht, was ist Karma?
Wie können wir in unserem Verhalten liebevoll sein – der Liebe zu mehr Raum verhelfen in der konkreten Situation?
Mary und Richard sprechen davon, dass es häufig unsere selbst gemachten (oder übernommenen) Konzepte über Liebe und liebevolles Verhalten sind, die dann zum Gegenteil führen, zu Streit und zu Leid. Zur Vermeidung solcher „Fallen“ braucht es Klarheit über die konkrete Situation, ein waches und immer wieder neues Hinschauen.
Das Schlachtfeld des täglichen Lebens
Die Übertragung der Auseinandersetzung auf dem Schlachtfeld in unser alltägliches Miteinander mag auf den ersten Blick überraschen, wird aber von Mary und Richard sehr klar und deutlich begründet und ist anschlussfähig.
Es ist natürlich nicht überraschend, dass Mary und Richard in vielen Dingen diesen klassischen Texte des Hinduismus aus buddhistischer Perspektive interpretieren, schon allein, weil sich Richard intensiv mit dem Buddhismus beschäftigt hat und auch als buddhistischer Mönch gelebt hat. Ich finde es aber auch deshalb sehr passend, weil zur Zeit der ersten Niederschrift der Bhagavad Gītā (ca. 250 v.Chr. plus minus 100 Jahre) die einzelnen Philosophien bzw. Religionen noch überhaupt nicht fest strukturiert waren, sondern in ständigem Austausch miteinander standen und sich gegenseitig befruchteten. Wenn Euch das Thema näher interessiert, könnt Ihr Euch bei Ashtanga Dispatch diesen Podcast der beiden zu ihrem neuen Buch anhören. Ihr findet das Buch natürlich auch – wenn Ihr vor Ort bei mir Yoga praktiziert – in meiner kleinen Yoga Bibliothek, gerne auch mal zum Ausleihen für ein paar Tage.