Für den Begriff „Yoga“ gibt es eine Vielzahl von Übersetzungen und Definitionen. In der Einleitung zu ihrem Buch Yogāvatāraṇam erwähnt Zoë Slatoff (meine Sanskrit Lehrerin), dass es in einem der gängigen Sanskrit Wörterbücher (Apte) über 80 unterschiedliche Übersetzungen gibt, von „vereinen“ (heutzutage die häufigste Übersetzung) bis hin zu „Verräter“ und „Geheimagent“.

Wie definiert man Yoga außerhalb der Matte?

Abgesehen von der Übersetzung des Begriffs gibt es auch eine Vielzahl von Definitionen –  von der „Vereinigung von Körper, Geist und Seele“ über „System von Übungen für eine bessere Beherrschung von Körper und Geist“ bis hin zur Trennung von allem Materiellem („prakṛti“) von dem Ewigen, Unvergänglichen („puruṣa“).

Eine sehr bodenständige und praktische Definition habe ich von David Swenson, einem amerikanischen Yogalehrer, gehört: „A yogi is someone who leaves a space just a little nicer than when they arrived.“ („Ein Yogi – oder eine Yogini, die weibliche Variante – ist eine Person, die einen Raum etwas schöner zurücklässt als zum Zeitpunkt ihres Eintreffens.“ eigene Übersetzung).

Mir gefällt diese Definition sehr, denn sie ist sehr anschaulich. Es geht nicht darum, besonders viel zu praktizieren, es geht nicht darum, beide Füße hinter den Kopf zu bekommen – nein, es geht darum, einen Beitrag zu leisten, dass die Welt etwas schöner wird.

Auch das etwas ist wichtig, denn wenn wir anfangen, uns unter Druck zu setzen, weil wir UNBEDINGT alles richtig machen wollen, alles retten wollen, allen helfen wollen, wenn wir uns persönlich für die Schönheit der gesamten Welt verantwortlich fühlen, werden wir zwangsläufig scheitern. Etwas schöner – das ist zumindest vorstellbar.

Und wieder sind wir beim Begriff des Raums. Ich denke, dass auch David den Begriff weit fasst.

Kann ich den äußeren Raum schöner machen?

Es beginnt im äußeren Raum: tragen wir in uns einen Sinn für Ordnung, Ästhetik – oder ist es uns egal, nehmen wir es noch nicht einmal wahr? Ich habe das auch über die Jahre erst gelernt – als junger Erwachsener war ich eher unordentlich, und es war mir wichtiger, die To do-Liste abzuarbeiten als dafür zu sorgen, dass ich keine Spur der Verwüstung in Form von liegen gebliebener Kleidung, aufgerissenen Briefumschlägen, schmutzigem Geschirr zurückzulassen. Vielleicht war das auch die unbewusste Auflehnung des wilden Kindes, das sich gegen die Erziehungsmaßnahmen der Mama wehrt – ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass ich heute „Unordnung“ körperlich spüre – und dass Ordnung mir hilft, auch im Innern meines Geistes mehr Ausgerichtetheit zu haben.

Wie ist das mit Dir? Achtest Du darauf, wie Du die Räume veränderst, die Du betrittst? Oder eher nicht?

Diejenigen, die seit längerer Zeit in meiner Shala praktizieren, haben es vielleicht bemerkt: die Umkleiden sind eng, und früher hat jeder in bester Absicht die mitgebrachten Sachen und die Kleidung auf die Bänke gelegt – mit dem Ergebnis, dass die, die später kamen, keinen Platz zum Hinsetzen hatten oder alles erst wegräumen mussten. Seitdem wir diese kleinen IKEA Kisten haben, sieht der Raum viel einladender aus, auch wenn viele da sind. Und es ist gegenüber denjenigen, die später kommen, rücksichtsvoller – kostet allerdings 2 min mehr.

 

Die inneren Räume schöner machen

Das Gleiche gilt für die inneren Räume unserer Mitmenschen. Tragen wir dazu bei, dass sie etwas schöner werden durch unsere Anwesenheit? Oder sind sie uns nicht wichtig, wir haben genug mit unseren eigenen Problemen zu tun?

Natürlich gilt wieder, dass es ganz leicht ist, das zu vergessen. Ein Problem mit irgendeinem Dienstleister, 15  min Warteschleife in der Hotline, und dann irgendeine schwer verständliche Stimme, die einem nervt. Und dann soll ich noch den Raum etwas schöner machen?

Nun ja, keiner hat gesagt, dass es einfach ist, Yoga zu machen :-).

Dennoch, es ist erstaunlich, wie gut es tut, wenn es dennoch gelingt, wenn wir uns dennoch daran erinnern, dass jeder Einzelne von uns in jedem Moment, bei jeder Begegnung die Welt etwas schöner machen kann.

Das heißt nicht, dass man lächelnd alles über sich ergehen lassen soll – im Gegenteil, die Welt wird nicht schöner, wenn man Übergriffe toleriert, wenn man sich bei Hasstiraden wegduckt. Es ist natürlich viel schwieriger, in Konflikten Yoga im Sinn von David zu praktizieren – für jeden von uns. Und auch da glaube ich, dass Übung den Meister macht.

Und manche Räume kann man nicht ändern – der Wille kann nun mal nicht darüber hinausgehen, was der Raum bereit ist zu tragen. Dann ist es das Beste, diesem Raum keine Energie zu geben, sich möglichst von ihm zu trennen.

Können wir unseren eigenen Raum in uns schöner etwas schöner machen? Tag für Tag?

Abschließend für heute noch der wichtige Hinweis, dass wir auch unsere eigenen, inneren Räume etwas schöner machen können: die ruhige kurze Verschnaufpause mit dem Blick in den Himmel bei einer guten Tasse Tee, die 15 min Spaziergang, der Sport, die Begegnung mit denen, die wir lieben – wenn es uns gelingt, unseren eigenen Raum etwas schöner zu machen, wird das Leben leichter, und wir können auch im Außen (den inneren Rämen der Anderen und auch in den äußeren Räumen) unseren Beitrag leisten, zumindest etwas.