Meinen letzten Blog habe ich vor mehr als einem halben Jahr veröffentlicht. Da waren wir noch mitten im Lockdown.
Aufgrund des online-Yoga Unterrichts hatte ich während des Lockdowns nicht wirklich viel mehr freie Zeit als ohne – habe es mir aber wohl irgendwie eingebildet. Mit dem Ergebnis, dass ich eine kreative Idee nach der Anderen hatte (zum Sanskrit-Unterricht, zur Yoga Sūtra, zur Yoga Philosophie allgemein, zum Reaktivieren von Sprachen, die ich seit 20 Jahren nicht mehr verwendet habe), so dass das Bloggen hinten runter fiel. Hinzu kamen im Außen die Großbaustelle (die erst jetzt, 14 Monate nach der Überflutung des gesamten unteren Geschosses, langsam zum Abschluss kommt), zwei Leistenbruch Operationen – und seit Mai glücklicherweise wieder der Beginn des Unterrichts vor Ort inklusive jeder Menge Einzelunterricht.
Nun also das Ende des Blog-Downs – mögen Dich die Themen aus den unterschiedlichsten Bereichen, zu denen ich mich äußern möchte (von der Āsana Praxis über die Yoga Philosophie und Sanskrit zur Energiearbeit, von allgemein interessierenden Themen zu spirituellen Fragen, und auch weiter gelegentlich Buchbesprechungen) ansprechen.
Den Blog-Block beenden möchte ich mit einem „handgreiflichen“ Thema. Es geht um die Frage:
Wie macht man eine bestimmte Āsana richtig?
Das Thema geht auf eine Anregung von Katja zurück, die seit nunmehr zwei Jahren in Istanbul Aṣṭāṅga praktiziert. Mit Katjas Zustimmung und CtrlC und CtrlV zitiere ich einfach aus ihrer eMail von Anfang März:
„gestern schaukelte sich ein Thema hoch in einer der Ashtanga Facebookgruppen. Es ging um ein Erklärvideo. Da wurden verschiedene Ausführungen von heraufschauender Hund gezeigt und dann mit dem Finger gewedelt: „Nein, so nicht“. Nun war es so, dass die Korrekturen zwar die Ausführung ästhetischer machten, aber etliche „erfahrene“ Ashtangis (darunter vermutlich einige Lehrer) warnten, dass diese hübsche „richtige“ Ausführung nur möglich sei, wenn man hypermobile Schultern hat. Das führte zu verzweifelten Fragen, wie denn die Asana nun „wirklich“ gemacht werden soll. Was ist richtig? [Meine (Katjas) Antwort war: Es ist die Version, die Dir die Arbeit/Wirkung der Asana ermöglicht, ohne dass Du Dich dabei verletzt.)
Ich denke in einer Zeit, in der der Zugang zum Lehrer beschränkt ist, und einige sich das eine oder andere im Internet anschauen, ist vielleicht ein Blogbeitrag zu „richtig und falsch“ im Ashtanga ganz nützlich. Es ist ja eh so ein Dauerthema. Auf der einen Seite ist vieles im Ashtanga „vorgegeben“, auf der anderen Seite gibt es viele Möglichkeiten der Modifikation, etc. Und wie eine Asana bei jedem Individuum aussieht, ist auch nochmal so eine Sache.“
Also, was ist die „richtige Form“ für eine bestimmte Āsana?
Die Frage hat es in sich.
Eindeutig kann ich nach (erst) 10 Jahren des Unterrichtens sagen: die einzig selig machende Form gibt es nicht, auch wenn wir uns das wünschen würden. Vergiss also „richtig“ oder „falsch“. Allerdings: wenn es weh tut, ist es „falsch“, egal was Andere sagen, auf jeden Fall falsch für Dich.
Nach meiner Überzeugung kann man sehr wohl den Unterschied wahrnehmen zwischen einem seltsamen Gefühl, wenn ein Muskel gedehnt wird und Schmerz. Ich bin kein Vertreter der Theorie, dass es “Öffnungsschmerzen” gibt, die ein gutes Zeichen sind. Nach meiner persönlichen Erfahrung ist Schmerz immer ein Warnsignal. Und wenn ich auf dieses Warnsignal nicht gehört habe, kam es in der Regel kurz darauf zu einer Verletzung.
Diesen Zahn, also die Hoffnung nach der „einen richtigen Form“ der Āsana, hat mir Manju Jois, der älteste Sohn des Begründers des Aṣṭāṅga Vinyasa Yoga, bereits sehr früh in meiner „Lehrer-Laufbahn“ gezogen. 2011, auf meinem ersten Teacher Training bei ihm, fragte ich ihn: „Manju, was ist die richtige Position des hinteren Fußes beim gestreckten Dreieck?“. Und da lächelte er mich an und antwortete: „Ganz einfach: so dass die Person nicht umfällt.“
Also, keine einfache, dogmatische Antwort, sondern eine individuelle. So hilft es zu der Manju gestellten Frage nach meiner mittlerweile gesammelten Erfahrung häufig, wenn bei dem gestreckten Dreieck der hintere Fuß 90 Grad zum vorderen Fuß steht, und beide Fersen auf einer Linie parallel zur Mattenkante. Dann kannst Du gezielt an der Außenrotation der hinteren Hüfte arbeiten. Es stimmt aber nicht für alle, je nach Position der Hüftpfanne an der Hüfte und auch nach Beweglichkeit und Zustand des Knies – und der Beweglichkeit insgesamt.
Ganz allgemein ist es eine Kunst, die Form der Āsana zu finden, bei der sie für Dich als Praktizierende oder Praktizierenden in Deinem aktuellen körperlichen Zustand die größte positive Wirkung entfalten kann – frei von Verletzung oder Destabilisierung.
Es ist eine Kunst für Dich als Praktizierende oder Praktizierenden – und es ist auch eine Kunst für die Dich Lehrenden.
Es braucht Zeit, das Körpergefühl dazu zu entwickeln, viel Zeit, viel Erfahrung, und viel Achtsamkeit.
Das ist viel schwieriger, als man glaubt:
Wo bewegst Du Dich in Deiner Komfortzone und vermeidest so eine Weiterentwicklung? Und wo übertreibst Du, und läufst Gefahr, über die Jahre Deinem Körper mit einer zu ehrgeizigen Praxis eher zu schaden als ihm zu nutzen?
Und was das Unterrichtetwerden angeht: wo nutzt Dir ein Adjustment, sei es körperlich oder verbal, und wo ist es eher schädlich? Und erlaubst Du Dir, auf Deinen Körper zu hören – oder gibst Du die Verantwortung an die Lehrerin oder den Lehrer ab? Traust Du Dich auch mal „Stop“ oder „heute bitte nicht“ zu sagen?
Zu Beginn hilft neben der Begleitung durch eine erfahrene Lehrperson der Austausch mit erfahreneren Praktizierenden. Es hilft natürlich auch, sich intensiver mit den einzelnen Āsana zu beschäftigen – während Du sie machst, aber auch vielleicht im echten Selbststudium, darüber zu lesen. Was ist bei dieser Āsana die Absicht, worum geht es – und wie passt das zu deinem Körper zu diesem Zeitpunkt?
Nach einigen Jahren (nicht erschrecken, 10 Jahre ist eine angemessene Zahl, vor allem, wenn Du keine tägliche Praxis in Deinem Leben unterbringst) findest Du die Antwort zunehmend in Dir.
Sei Dir auch bewusst, dass es nicht um „Vergleichen“ geht. Weder mit der Form der Āsana, wie Du sie vor 1 Jahr (oder gestern) gemacht hast, noch mit der Form der Āsana, wie Du sie gerade auf einem Instagram-Beitrag gesehen hast.
Was stimmt für Dich, genau an diesem Tag, in dieser Befindlichkeit?
Tim Feldmann, der Ehemann von Kino McGregor (einer der weltweit bekanntesten Aṣṭāṅga Lehrerinnen) widersprach einmal seiner Frau (die deutlich jünger ist als er) auf einem Workshop einmal, als sie sagte: „Das solltest Du genau so, oder so, oder so machen.“ „Darling, this is what you say because you are so young. For me, each day I humbly ask my body what it is prepared to do.” („Liebling, das kannst Du so sagen, weil Du so jung bist. In meinem Alter frage ich meinen Körper jeden Morgen sehr bescheiden, wozu er an diesem Tag bereit ist.“ meine Übersetzung).
Asanas sind wie das Leben.
So wie es im Leben keine richtige oder falsche Entscheidung gibt, meiner Meinung nach sollte man nur eignen Weg finden.
Dazu braucht es den Mut, auszuprobieren oder Herz zu öffnen.
Seo Jin
Danke für Deinen Kommentar und diesen Vergleich. Er stimmt auch aus meiner Sicht. Wie ich mit den Asanas „lebe“, gibt häufig auch einen Hinweis darauf, wie ich mein Leben lebe. Allgemein habe ich über die Jahre gelernt, dass unser „Yoga“ im weiteren Sinn sehr viel, wenn nicht alles über uns zeigen kann.