Chanten

Chanten

Chanten ist in vielen spirituellen Traditionen bekannt, nicht nur im Yoga. Es geht nicht um „meisterliches“ Singen, sondern darum, durch die Konzentration auf das Chanten und durch das regelmäßige Wiederholen einen meditativen Zustand zu erreichen.

Das Chanten ermöglicht auch einen besonderen Zugang zu den Texten und den Mantren, die uns überliefert wurden.

Traditionell wurden in der Zeit vor der Einführung der Schrift und gar der Druckkunst die großen Werke (die Veden, Mahabharata, Ramayana und viele andere) und auch die Mantren durch Chanten auswendig gelernt und so über viele Generationen weitergegeben.

Chanten lernen

Wenn Du am Mysore-Unterricht teilnimmst, hast Du bereits erste Erfahrungen mit dem Chanten gesammelt, da wir zu Beginn des Eröffnungsmantra des Ashtanga Vinyasa Yoga chanten. Auch im Yoga Philosophie Zirkel chanten wir – je nach aktuellem Thema – mal mehr, mal weniger.

Sehr viel Raum nimmt das Chanten in dem Workshop „Entdecke die Wirkkraft der Mantren“ ein.

Sammlung von Mantren

Du findest hier eine Sammlung meiner Lieblingsmantren. Hoffentlich bereiten sie Dir auch Freude:

Es geht los mit einem der zahlreichen Mantren an Ganesha.
Es folgen das Lehrer Schüler Mantra,
das Eröffnungsmantra des Ashtanga Vinyasa Yoga und
das Abschlussmantra des Ashtanga Vinyasa Yoga, das auch als Mangala Mantra bekannt ist,
eines der Mantren an Sarasvati, der Göttin des Lernens,
das Guru Stotram,
ein Mantra zum Tagesanbruch und
das Pavamāna Mantra, das auch unter seinen Anfangssilben als Asato Mā Mantra bekannt ist.

Im Laufe der Zeit werden weitere Mantren folgen.

Hilfe zum Erlernen der Mantren

Zu jedem Mantra findest Du einige Zeilen zum Ursprung und zum Hintergrund sowie die Transliteration (also die buchstabengetreue Übertragung aus dem Devanagari, in die lateinische Schrift, unter Verwendung sogenannter diakritischer Zeichen). Wenn Du dann auf die einzelnen Zeilen mit dem Plus klickst, zeigt sich der Text des Mantras auch in Devanagari (also der heutzutage am häufigsten verwendeten Schrift zur Wiedergabe von Texten in Sanskrit) und in der Übersetzung ins Deutsche. Als Grundlage für die Übersetzung habe ich meistens die Übersetzung von Zoë Slatoff, meiner Sanskrit Lehrerin, ins Englische verwendet. Du findest außerdem zu jeder Zeile eine mp3-Datei in der traditionellen Call-und-Response-Technik (aus dem Englischen „call-and-response“, wörtlich „Ruf und Antwort“). Wenn Du die Mantren auswendig lernen willst, kann das in den Pausen dann jeweils nachsingen eine gute Hilfestellung sein.

Du kannst die reinen Textversionen des gesamten Mantras Dir auch als PDF herunterladen. Wenn Du Dich für die Details des Sanskrit interessierst, findest Du zusätzlich eine PDF-Datei mit der Übersetzung der einzelnen Wörter und dem grammatikalischen Hintergrund zum Herunterladen.

Auf der rechten Seite findest Du dann noch drei unterschiedliche Versionen des gesamten Mantras als mp3-Datei: die erste gibt einfach den Text wieder, die anderen beiden wiederum nach der traditionellen Call-und-Response-Technik (aus dem Englischen „call-and-response“, wörtlich „Ruf und Antwort“). Bei der ersten Version in Call-und response singst Du zum einfacheren Lernen zunächst Wort für Wort einer Zeile nach, dann die gesamte Zeile und abschließend das gesamte Mantra oder den gesamte Vers. Bei der zweiten Version singst Du jeweils einfach die einzelne Zeile nach. Das kann gerade zu Beginn etwas zu viel sein.

Wenn ich eine neue Strophe oder ein neues Mantra lerne, stelle ich den mp3-Player auf Endlosschleife – die Wiederholung ist auch hier die Mutter des Lernens.

Ohne die Unterstützung meiner Sanskrit-Lehrerin Zoë Slatoff wäre diese Sammlung nicht möglich gewesen. Ich danke ihr sehr für ihre Unterstützung.

Noch ein Hinweis: ich chante gerne, aber meine Aussprache ist nicht perfekt. Auf der Website von Zoë findest du für alle Mantren Versionen mit ihrer Stimme. Auch sonst gibt es unzählige Websites zum Chanten und zu Mantren, wobei leider häufig Chants von Personen veröffentlicht werden, die kein ausreichendes Verständnis der Aussprache im Sanskrit haben.

Mantra an Ganesha

Anrufung von Ganesha

Ganesha steht u.a. für die Kraft des Neuanfangs, für das Wachstum, auch für das Wachstum an Hindernissen und für die Freude daran, etwas Neues zu verwirklichen.

In Nordindien hat er zwei Gemahlinnen – Buddhi, das Wissen, und Siddhi, den Wohlstand. Er wird im Hinduismus auch als Herr über die Wissenschaften als Gott des Handels angesehen.

Es gibt viele verschiedene Mantren zur Anrufung dieser Kraft. Dieses hier finde ich persönlich am schönsten.

vakra-tuṇḍa mahā-kāya

वक्रतुण्ड महाकाय

Oh Gaṇeśa, der mit dem gebogenen Rüssel und der großen Statur,  

sūrya-koṭi-samaprabha।

सूर्यकोटिसमप्रभ।

dessen Leuchten dem von zehn Millionen Sonnen gleicht,

nirvighnaṃ kuru me deva

निर्विघ्नं कुरु मे देव

oh Gott, gewähre mir Freiheit von Hindernissen,

sarva-kāryeṣu sarvadā॥

सर्वकार्येषु सर्वदा॥

In allen Dingen, zu allen Zeiten.

Lehrer Schüler Mantra

Heutzutage wird dieses Mantra gerne allgemein zu Beginn einer Unterrichtung oder eines gemeinsamen Projekts rezitiert.

Es stammt ursprünglich aus der Taittiriya Upanishad, einer der ältesten Upanishaden. Sie ist mit der Yajur Veda assoziiert und wurde wahrscheinlich im sechsten bis fünften Jahrhundert v. Chr. geschrieben.

Das Mantra bittet um erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen dem Lehrer und dem Schüler auf dem Weg zur Erkenntnis der wahren Natur des Wissens.

Es gehört zu den Shanti Mantren, also den den Frieden unterstützenden Mantren.

saha nāv avatu।

स॒ह ना॑ववतु ।

Möge es uns beide gemeinsam beschützen. 

saha nau bhunaktu।

स॒ह नौ॑ भुनक्तु।

Möge es uns beide gemeinsam nähren.

saha vīryaṃ karavāvahai।

स॒ह वी॒॑र्यं करवावहै।

Mögen wir beide kraftvoll gemeinsam arbeiten.

tejasvi nāv adhītam astu

ते॒ज॒स्वि ना॒वधीतमस्तु

Möge unser Lernen erkenntnisreich sein.

mā vidviṣāvahai।

मा वि॑द्विषा॒वहै ॥

Mögen wir beide uns nicht streiten.

Oṃ śāntiḥ śāntiḥ śāntiḥ॥

ॐ शान्ति॒: शान्ति॒: शान्तिः॥

OM Frieden, Frieden, Frieden

Eröffnungsmantra des Aṣtāṅga Vinyāsa Yoga

Das Eröffnungsmantra wird traditionell zu Beginn der Praxis des Aṣtāṅga Vinyāsa Yoga gechantet. Im Unterricht singen die Lehrerin oder der Lehrer es vor und die Praktizierenden wiederholen den Text (Call und Response). Wenn Du bereits eine Weile Ashtanga Yoga praktizierst und alleine übst, singst Du es zu Beginn der Praxis für Dich, laut, leise oder nur innerlich.

Die erste Strophe entspricht dem ersten Vers der Yoga Tāravālī, einem Text wahrscheinlich aus der Zeit zwischen dem 12. und dem 15. Jahrhundert. Die Quelle der zweiten Strophe ist nicht bekannt.

vande gurūṇāṃ caraṇāravinde

वन्दे गुरूणां चरणारविन्दे

Ich verbeuge mich zu den beiden Lotusfüßen der gurus,

sandarśita-svātma-sukhāvabodhe ǀ

सन्दर्शितस्वात्मसुखावबोधे।

durch die das Verständnis für die Freude meiner Seele offenbart wurde.

niḥśreyase jāṅgalikāyamāne

निःश्रेयसे जाङ्गलिकायमाने

Mein Zufluchtsort, wirkend wie ein Schlangenarzt,

saṃsāra-hālāhala-mohaśāntyai ‖

संसारहालाहलमोहशान्त्यै॥

für die Beruhigung der von dem Gift der zyklischen Existenz verursachten Täuschungen.

ābāhu-puruṣākāraṃ

आबाहुपुरुषाकारं

Der von den Armen die Form eines Menschen hat,

śaṅkha-cakrāsi-dhāriṇam ǀ

शङ्खचक्रासिधारिणम्।

ein Muschelhorn, einen Diskus und ein Schwert tragend,

sahasra-śirasaṃ śvetaṃ

सहस्रशिरसं श्वेतं

weiß, mit tausend Köpfen,

praṇamāmi patañjalim ‖

प्रणमामि पतञ्जलिम्॥

zu Patañjali verneige ich mich.

Abschlussmantra des Aṣtāṅga Vinyāsa Yoga

maṅgala“ heißt glücksbringend. Allgemein bezeichnet man Mantren, bei denen Glück- und Segenswünsche für Andere ausgesprochen werden, als Maṅgala Mantren.

Dieses konkrete Maṅgala Mantra wird traditionell am Ende der Aṣṭāṅga Vinyāsa Yoga Praxis gesungen und gehört aufgrund des Segenswunsches am Ende (Oṃ śāntiḥ śāntiḥ śāntiḥ) zu den sogenannten śāntiḥ Mantren, den Friedensmantren. Es findet sich in der Ṛg Veda, ist also ca. 3.500 Jahre alt.

svasti prajābhyaḥ paripālayantāṃ

स्वस्ति प्रजाभ्यः परिपालयन्तां
Mögen die Machthaber der Welt das Wohlergehen der Menschen schützen,

 

nyāyena mārgeṇa mahīṃ mahīśāḥ।

न्यायेन मार्गेण महीं महीशाः।
durch gerechtes Handeln und Folgen des korrekten Weges.

go-brāhmaṇebhyaḥ śubham astu nityaṃ

गोब्राह्मणेभ्यः शुभमस्तु नित्यं
Möge es auf ewig Glück geben für alle Wesen, von den Kühen bis zu den Brahmanen.

lokāḥ samastāḥ sukhino bhavantu॥

लोकाः समस्ताः सुखिनो भवन्तु॥
Mögen die Bewohner aller Welten voller Freude sein.

Oṃ śāntiḥ śāntiḥ śāntiḥ।

ॐ शान्तिः शान्तिः शान्तिः।
OM Frieden, Frieden, Frieden

Mantra an Sarasvati

Anrufung von Sarasvati

Sarasvati ist die Göttin des Lernens und passend dazu auch die Schutzgöttin der Wissenschaft und der Kunst. Sie wird in Indien viel mehr angebetet als ihre männliche Entsprechung, Brahma, der Schöpfungsgott.

Sarasvati ist auch die Göttin der Sprache. Ihr wird die Erschaffung des Sanskrit und auch der Devanāgarī Schrift zugeschrieben.

Dieses Mantra ist eines von unzähligen, die ihr zu Ehren rezitiert werden.

Sarasvati namas tubhyaṃ

सरस्वति नमस्तुभ्यं

Oh Sarasvati, Gruß an Dich,

varade kāma-rūpiṇi।

वरदे कामरूपिणि।

Du Segen Spendende, Du Erfüllerin von Wünschen.

vidyārambaṃ kariṣyāmi

विद्यारम्भं करिष्यामि

Ich werde mit dem Lernen beginnen,

siddhir bhavatu me sadā॥

सिद्धिर्भवतु मे सदा॥

möge mir immer Erfolg gewährt sein.

Guru Stotram

Mantra für den Guru

Stotras sind eine Form der devotionalen Poesie (hingebungsvolle Dichtung), die häufig an eine bestimmte Gottheit gerichtet ist. Sie sind später entstanden als die Veden, haben aber eine enge Beziehung zu ihnen – wenn auch die in ihnen gepriesenen Götter teilweise zur Zeit der Veden noch nicht erwähnt wurden oder nur eine untergeordnete Rolle spielten.

Dieses spezielle Mantra richtet sich an den Guru, den spirituellen Lehrer. Da die wahren Guru in der Wirklichkeit des 21. Jahrhunderts sehr selten geworden sind, empfehle ich Dir, damit Deine innere Lehrerin bzw. Deinen inneren Lehrer anzusprechen. Wenn Du auf der Matte bist, steht sie bzw. er (im inneren Bild) Dir immer gegenüber.

gurur brahmā gurur viṣṇuḥ

गुरुर्ब्रह्मा गुरुर्विष्णुः

Der Guru ist Brahmā, Gott des Erschaffens, der Guru ist Viṣṇu, Gott des Erhaltens.

gurur devo maheśvaraḥ।

गुरुर्देवो महेश्वरः।

Der Guru ist Gott, ist Śiva, der Gott der Zerstörung [maheśvaraḥ, wörtlich “der große Gott“, einer der vielen Namen für Śiva].

gurur sākṣāt paraṃ brahma

गुरुः साक्षात्परं ब्रह्म

Der Guru ist klar das höchste Absolute.

tasmai śrī-gurave namaḥ

तस्मै श्रीगुरवे नमः

Ich verbeuge mich zu diesem Guru.

tasmai śrī-gurave namaḥ॥

तस्मै श्रीगुरवे नमः॥

Ich verbeuge mich zu diesem Guru.

Morgen Mantra

Morgen Mantra

Dieses Mantra ist eines von vielen Mantren für den Beginn des Tages. Es wird  gechantet, um die Kräfte des Wohlstands, der Weisheit und der Stärke anzurufen, vor allem in ihren femininen Aspekten.

karāgre vasate lakṣmī

कराग्रे वसते लक्ष्मी

An der Spitze der Hand wohnt Lakṣmī,

 

kara-madhye sarasvatī।

करमध्ये सरस्वती।

in der Mitte der Hand Sarasvatī,

 

kara-mūle sthitā gaurī

करमूले स्थिता गौरी

an der Wurzel der Hand ist Parvatī [Gauri, Name für Parvatī] angesiedelt,

 

prabhāte kara-darśanam॥

प्रभाते करदर्शनम्॥

das erkenne ich, in der Morgenröte die Hand anschauend.

 

Pavamāna Mantra (Asato Mā)

Pavamāna Mantra (Asato Mā)

Dieses Mantra stammt aus der Bṛhadāraṇyaka Upaniṣad (1.3.28). Pavamāna bedeutet „gereinigt werden“. Ursprünglich wurde es zu Beginn bestimmer Opferzeremonien (bei denen das legendäre Soma, wohl ein Halluzinogen, zum Einsatz kam) gechantet.

asato mā sad gamaya।

असतो मा सद्गमय।

Führe mich vom Unwirklichen zur Wirklichkeit,

 

tamaso mā jyotir gamaya।

​तमसो मा ज्योतिर्गमय।

führe mich von der Dunkelheit zum Licht,

 

mṛtyor mā amṛtam gamaya।

मृत्योर्मा अमृतं गमय॥

führe mich vom Tod zur Unsterblichkeit.