Matias Tietke hat mit mir nicht nur 6 Buchstaben des Vornamens gemeinsam, er ist auch im gleichen Jahr zur Welt gekommen, allerdings im Gegensatz zu mir in der damaligen DDR. Eine weitere Gemeinsamkeit ist die Verweigerung des Wehrdienstes – was allerdings sicher in der damaligen DDR eine sehr viel schwerwiegendere Entscheidung darstellte als in der damaligen BRD.

Nach der Wende unternahm Herr Tietke Fernreisen, laut Wikipedia mit Schwerpunkt nach Indien. 1994 bis 1998 liess er sich als Yogalehrer ausbilden (Berufsverband der Yogalehrenden in Deutschland, BDY, und Europäische Yoga Union, EYU). Außer als Yogalehrer arbeitet er als Journalist und als Buchautor. Ich habe in meiner Bibliothek noch ein anderes Buch von ihm: Der Stammbaum des Yoga, erschienen 2007 im Theseus-Verlag.

Sein Buch über Yoga im Nationalsozialismus ist relativ schnell gelesen, kleines Format, 229 S.. Es ist für historisch interessierte Menschen lesenswert – aber Du solltest nichts „Sensationelles“ darin erwarten.

Romantische Verklärung des Yoga, bereits vor 200 Jahren

Das Buch beginnt mit der Zeit lange vor dem Nationalsozialismus, der Begeisterung der deutschen Dichter und Philosophen Ende des 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts über die aus Indien eintreffenden ersten Übersetzungen der alten Schriften. So stammt die erste Übertragung der Bhagavad Gita ins Deutsche aus dem Jahr 1806. Herder, Schelling, Nietzsche, auch Schopenhauer, sie alle waren begeistert – nach Tietke auch mit viel romantischer Verklärung und Projektion. Hier finden sich – auch später dann bei Nietzsche – Grundlagen für das Thema Ariertum,  „Herrenrasse“ und Rassendenken.

Einen wirklichen „Durchbruch“ in der breiteren Öffentlichkeit für Yoga und indische Philosophie gab es Anfang des 20. Jahrhunderts, vor allem durch die Aktivitäten der Theosophen um Helena Blavatsky. Sie verbreiteten ein eigenes Gemisch aus hinduistischen und buddhistischen Elementen einerseits und westlichen esoterischen und okkulten Elementen andererseits. In diesem Zusammenhang widmet Tietke auch Rudolf Steiner ein kurzes Kapitel, der ja ursprünglich im Kreis der Theosophen aktiv war. Er brach mit ihnen wegen ihrer Pläne, den jungen Krishnamurti zum Messias des Osten hochzustilisieren (siehe mein Blog „Über Risiken und Nebenwirkungen der Wahrheit“) und ging dann seinen eigenen Weg.

Tietke berichtet dann ausführlich über (noch recht begrenzte) Yoga-Aktivitäten in den zwanziger und frühen dreißiger Jahren in Deutschland. Yoga wurde bekannt gemacht durch Vorträge zum „geistigen Yoga“ als auch im Rahmen von Zirkusdarstellungen mit „echten indischen Yogis“.

Das erste Yoga Studio in Deutschland

Die erste deutsche Yoga-Schule für Hatha Yoga wurde in Berlin etabliert, ab Ende der zwanziger Jahre, von Boris Sacharow (gebürtig in der Ukraine, dann aus dem postrevolutionären Russland nach Deutschland geflohen), der u.a. den Begründer des autogenen Trainings, Johannes Schultz, in Hatha Yoga unterrichtete.

Tietke stellt in dem Buch dann in zahlreichen kurzen Kapiteln einige der Befürworter und der Gegner des Yoga zur Zeit des Nationalsozialismus dar. Eine der entschiedenen Gegnerinnen war die Ärztin Dr. Mathilde Ludendorff (Ehefrau des im 1. Weltkrieg bekannt gewordenen Generals Ludendorff). Für sie war Yoga ein Beispiel „induzierten Irrsinns“.

Himmler und die Bhagavad Gita

Von den eigentlichen Nazi-Größen nennt Tietke Alfred Rosenberg, den Chefideologen der Nazis und vor allem Heinrich Himmler, dem er das gesamte letzte Kapitel widmet.  Hier begründet er plausibel, dass für Heinrich Himmler die Bhagavad Gita eine wesentliche Rechtfertigung seiner abscheulichen Handlungen, insbesondere des Holocausts, darstellte.

Heinrich Himmler

Bundesarchiv, Bild 183-S72707 / CC-BY-SA 3.0

Auch Adolph Hitler wird in dem Buch kurz erwähnt – er las die Upanishaden und schätzte sie. Und zu Hitlers langjährigen Geliebten Eva Braun (kurz vor dem gemeinsamen Suizid wurde sie seine Ehefrau) führt Tietke aus, dass ihn die relativ bekannten Bilder von ihr in der Brücke, in der Vorwärtsbeuge oder in anderen Übungen nicht davon überzeugt hätten, dass sie wirklich Yoga praktiziert habe. Es könne ebenso auch einfach Gymnastik gewesen sein.

Das Hakenkreuz wohl nicht aus Indien von den Svastika übernommen

Tietke bezweifelt auch, dass das indische Symbol der Svastika (als glücksbringendes Zeichen) das Hakenkreuz inspiriert habe. Das Symbol sei seit Jahrtausenden in vielen Kulturen auf fast allen Kontinenten verwendet worden – und Hitler habe es von der völkischen Bewegung als germanische Rune und „antisemitisches“ Symbol 1920 dann auf den Parteibanner der NSDAP und später die Fahne des Dritten Reichs übernommen.

 Das Buch ist sehr detailliert recherchiert – es liest sich mit den Fußnoten und exakten Nachweisen an manchen Stellen allerdings mehr wie eine wissenschaftliche Arbeit. Das macht die Lektüre nicht immer leicht.

 Wenn Du Dich für die frühe Geschichte des Yoga in Deutschland oder insbesondere während der Zeit des Nationalsozialismus interessierst, findest Du in dem Buch die Frucht ausführlicher Beschäftigung sowohl mit der Rezeption des Yoga in den zwanziger und dreißiger Jahren als auch mit den Elementen der Yoga Philosophie (z.B. der Gedanke der Kasten und der Überlegenheit bestimmter Rassen), die für den Nationalsozialismus sehr anschlussfähig waren.

 Im Zusammenhang mit den Querdenker Demos wurde und wird behauptet, dass ein Teil der Yoga-Szene für rechtes Gedankengut anfällig sei. Es gibt inzwischen sogar unter der Überschrift „Shantifa“ in der allgemeinen Yoga-Szene Initiativen gegen rechtes Gedankengut innerhalb der Yogabewegung. Das vorliegende Buch wurde als Beleg für diese Behauptung genannt.

 Zur Begründung dieser angeblichen „allgemeinen Anfälligkeit“ vieler Yoga Praktizierenden für rechtes Gedankengut finde ich in dem Buch wenig. Natürlich ist die Nähe des Herrenmenschen-Gedanken im Nationalsozialismus und bestimmter Konzepte z.B. in der Bhagavad Gita plausibel – aber das wird für die wenigsten, die heutzutage Yoga praktizieren, Motiv sein, um auf die Matte zu gehen.

Ein besonderes „Yoga-spezifisches“ Thema oder eine Anfälligkeit für rechtes Gedankengut ist für mich nicht begründbar, auch nicht nach aufmerksamer Lektüre des Buches. Da könnte ich mit gleichem oder sogar mehr Fug und Recht behaupten, dass Yoga Praktizierende besonders offen für die Konzepte der Grünen sind, da mit zunehmenden Körperbewusstsein und emotionaler Feinheit die vom Menschen zu verantwortenden Klimaveränderungen mehr im Bewusstsein sind als für Andere.

Es kann gut sein, dass ein bestimmter Typ Mensch (z.B. auf der Suche nach Ordnung und Autorität) vom Yoga angezogen wird. Ob diese Struktur dann besonders empfänglich macht für rechte Ideologie?  Vielleicht, vielleicht auch nicht. Dazu kenne ich keine Untersuchungen. Auf jeden Fall ist das nicht der einzige Typ Mensch, der vom Yoga angezogen wird. Wie war noch gleich das Zitat von Patthabi Jois?

“Ashtanga Yoga is for everybody, just not for lazy people.” (“Ashtanga Yoga ist für alle Menschen, außer für Faulpelze.”, meine Übersetzung).