Der Titel mag Dich überraschen, denn was sollen denn Sanskrit und Yoga miteinander zu tun haben?

Wird doch Yoga im Westen heutzutage von vielen als Bauch-Beine-Po-Training angesehen (diesen schönen Begriff habe ich einer Broschüre der Evangelischen Kirche entnommen – der ich sicher auch demnächst mal einen Blog widmen werden, hier der Link). Und Sanskrit ist die Sprache, in der die Mehrzahl der alten indischen Werke verfasst wurde, die aber heutzutage nur noch von ganz Wenigen aktiv gesprochen wird. Wie soll das Erlernen einer solchen klassischen Sprache Yoga für den Verstand sein?

Die ursprüngliche Bedeutung von Yoga

Nun, um dies ein wenig anschlussfähig zu machen, muss ich Dich an die ursprüngliche Definition des Yoga erinnern – die nichts mit Bauch-Beine-Po zu tun hat. Sie stammt aus dem „Standardwerk“ der Yoga Philosophie, der Yogasūtra des Patañjali, zusammengestellt zwischen dem 2. und 4. Jahhrundert n.Chr.:

„Yoga ist das Zur-Ruhe-Bringen der Bewegungen des Geistes“ (meine Übersetzung, in Devanāgarī „योगश्चित्तवृत्तिनिरोधः ॥२॥„ bzw. in Transliteration „yogaś citta vṛtti nirodhaḥ ॥ I.02 ॥“).

Das körperorientierte Yoga kann dies mehr oder weniger zustande bringen, im Idealfall beim Ashtanga Yoga als Meditation in der Bewegung. Bauch-Beine-Po Straffung ist eine gern gesehene Nebenwirkung, aber nicht die eigentliche Absicht.

Die yogische Wirkung von Sanskrit

Die Beschäftigung mit Sanskrit hat auf den Geist eine beruhigende Wirkung. Sanskrit kann man nur erlernen, wenn man bereit ist, zu fokussieren. Die Sprache ist herausfordernd – und wunderschön, wenn man bereit ist, sich auf sie einzulassen.

Ihre „yogische“ Wirkung entfaltet sie in meiner persönlichen Erfahrung auf einer Reihe von Ebenen.

Da ist zum einen der Klang. Sanskrit wurde ursprünglich genutzt, um die heiligen Texte der Veden weiterzugeben – unzählige Verse über Jahrtausende nur mündlich überliefert, bis zur Entdeckung der Schrift (ca. 500 v. Chr.). Die Sprache ist deshalb vom Klang her dazu ausgerichtet, „eingängig“ zu sein – also (bei korrekter Aussprache) durch ihre Schwingungen ein Wohlgefühl hervorzurufen und gleichzeitig (wie Gesang ganz allgemein) sich gut einzuprägen.

Es gibt (esoterische) Meinungen, nach denen Sanskrit eine der wenigen Sprachen sei, die direkt auf den Energiekörper einwirken würden, also den Sinn bzw. den Inhalt direkt im Geist zu deponieren, ohne den Umweg über das analytische Verständnis zu gehen. Ich weiß nicht, ob das wirklich so ist – ich weiß nur, dass das Singen der Mantren und auch das Lesen der Texte der alten Klassiker bei mir schon früh eine meditative Wirkung entfaltet hatte, lange bevor ich begann, mich mit der Schrift, der Aussprache, den Vokabeln und gar der Grammatik zu beschäftigen.

Yogāvatāraṇam“ – die Übersetzung des Yoga

Eine andere Ebene kann der Weg sein, wie man die Sprache erlernt. Es gibt sicher mondäne oder akademische Wege, bei denen das Erlernen von Sanskrit vergleichbar ist mit dem Erlernen irgendeiner klassischen Sprache, Latein, Altgriechisch, Hebräisch. Ich glaube, dass mich das interessiert hätte – und ich kenne viele Yoga-Lehrende, die dann auch wieder aufgehört haben, weil es ihnen „zu trocken“ war. Ich hatte das Glück, auf ein für einen Yoga Praktizierenden ideales Buch zu stoßen: „Yogāvatāraṇam“ von Zoë Slatoff.

Zoë gelingt der Spagat zwischen einer „ganz normalen“ Vermittlung einer neuen Sprache (neue Schrift, Vokabeln, Grammatik) und die „Anbindung“ dieser fremden Sprache an die Welt des Yoga, eben über die Begriffe, anhand derer man lernt und übt. Kein Wunder, dass Zoë diese Verbindung so gut gelingt: sie praktiziert und unterrichtet seit über 20 Jahren Ashtanga Yoga, und außerdem hat sie ein Sanskrit-Studium an der Columbia Universtität (New York) absolviert (Master in asiatischen Sprachen und Kulur). Gerade vor ein paar Wochen hat sie ihre Doktorarbeit eingereicht, an einer englischen Hochschule.

Yogāvatāraṇam“ bedeutet „Die Übersetzung des Yoga“ – und in dem Sinn ist das Sanskrit, das man mit Hilfe dieses Buchs lernt, eben nicht „Standardsanskrit“, sondern immer im Bezug zu Yoga oder der Yoga Philosophie, über zahllose Beispiele aus der Yogasūtra, der Bhagavad Gītā und vielen anderen Texten. Natürlich ist es dann schön, wenn Du Dir Begriffe wie „bandhas“, „drishtis“ oder „prāṇa“ über diese klassischen Texte erschließen kannst.

Schriftzeichen schreiben kann auch yogische Wirkung entfalten

Auch schon allein die Beschäftigung mit den Schriftzeichen kann meditative Wirkung entfalten. Es wäre gelogen zu sagen, dass die Schrift oder Sanskrit im Allgemeinen leicht zu erlernen seien. Es braucht Zeit und viele Wiederholungen. Und sie lohnt sich.

Die Beschäftigung mit Sanskrit trainiert das Konzentrationsvermögen. Lesen, schreiben, übersetzen – das alles erfordert eine eindeutige Ausrichtung auf das, was man tut, sonst übersieht man etwas oder versteht es falsch. Und diese Form der eindeutigen Ausrichtung ist dann sehr nützlich auch für alle anderen Aktivitäten.

Die Wiederholung ist die Mutter des Lernens

Das bedeutet nicht, dass das Sanskrit Lernen nicht manchmal auch frustriert. Das gehört leider auch dazu. Mich ärgert schon, wenn ich eine Deklination schon zum x-ten Mal wieder vergessen habe, wenn ich ein Wort, das ich kennen „müsste“, nicht wiedererkenne – und auch merke, dass meine geistige Leistungsfähigkeit nicht mehr die gleiche ist wie früher. Gleichzeitig freue ich mich, wenn ich plötzlich Texte im Original lesen kann, wenn mir (manchmal nach langem Grübeln) eine Bedeutung klar wird oder ich beim Singen eines Mantras weiß, was ich da singe.

Wie würde der belgische Roman-Detektiv Hercules Poirot sagen? Sanskrit ist ausgesprochen belebend für die kleinen grauen Zellen.

Abschließen möchte ich mit einem Zitat von Ludwig Wittgenstein: Die Grenzen meiner Sprache sind die Grenzen meiner Welt. In diesem Sinn weitet Sanskrit den Raum auf eine Weise, die man nicht beschreiben, sondern nur erfahren kann. Denn Du darfst nicht vergessen, dass aus Sicht des Yoga Körper und Geist eins sind.