Im Sanskrit bedeutet „Karma“ ursprünglich einfach nur „Handlung“. Seit ca. 2.500 Jahren wird es aber in einem wesentlichen weiteren Sinn verstanden, als Gesetz von Ursache und Wirkung, nachdem Handlungen aus diesem (und früheren Leben) unmittelbar Auswirkungen haben auf das aktuelle Leben (und Sterben).

Der Begriff „Karma“ ist im Westen – wie „Yoga“ auch – ein echtes Modewort geworden. Das geht so weit, dass Du zum dem Thema auch Weisheiten aller möglichen überraschenden Karma-Experten finden kannst, von Wilhelm Busch „Jeder Jäger wird irgendwann einmal Hase, denn die Ewigkeit ist lang.“ bis zu Sylvester Stallone „Es gibt ein natürliches Gesetz des Karmas, dass rachsüchtige Menschen, die auf ihrem Weg andere verletzen, pleite und allein enden.“ Sollte Dir diese zum Thema „Karma“ reichen, kannst Du Zeit sparen und nicht weiterlesen ?. Das Buch von Bronkhorst ist dann wahrscheinlich auch uninteressant für Dich.

Von der Handlung zum Gesetz von Ursache und Wirkung

Im Gegensatz zu Sylvester Stallone gehört Johannes Bronkhorst nicht zu den zu A-Promis. Er hat bis 2011 an der Universität von Lausanne Sanskrit und Indologie gelehrt und publiziert auch bis heute regelmäßig. Ursprünglich stammt er aus Holland, hat dort Naturwissenschaften studiert, um anschließend in Indien und später auch noch in Holland ein zweites Mal über Sanskrit zu promovieren. Sein Forschungsschwerpunkt war vielfältig, im allgemeinen ging es um die Wechselwirkung zwischen Brahmanismus (dem Vorläufer des Hinduismus, auf den Veden beruhend) und Buddhismus und Jainismus.

Sein handliches, auf Englisch geschriebenes Buch (130 S., kleines Format) ist eher wissenschaftlich als populärwissenschaftlich geschrieben. Ursprünglich hat mich Greg Nardi auf das Buch hingewiesen, wofür ich ihm dankbar bin.

Er untersucht darin u.a. den Ursprung des Konzepts des Glaubens an eine Wiedergeburt und des nicht zwingend damit zusammenhängenden Gesetzes einer karmischen „Vergeltung“ (im englischen Original „retribution“). Während die Konzepte zur Zeit der Veden (also vor drei- bis viertausend Jahren) noch unbekannt waren, schienen sie dann zum Zeitpunkt der Entstehung des Jainismus und des Buddhismus (vor ca. 2.500 Jahren) bereits fest etabliert.

Nach seiner Darstellung sind die Gesetze des Karma und die Ansätze, sich aus dem Zyklus der ewigen Wiedergeburten zu befreien, eher außerhalb des orthodoxen (auf den Veden beruhenden) Brahmanismus entstanden – um dann später ihn (aus dem der heutige Hinduismus hervorgegangen ist) integriert zu werden.

Wie umgehen mit dem Rad der Wiedergeburt?

Bronkhorst bespricht auch die verschiedenen Arten, wie die einzelnen Glaubensrichtungen oder Philosophien mit dem Glauben an Karma umgegangen sind.

Die Jain sahen die die Lösung (sprich den Ausweg aus dem Rad der Wiedergeburt) im Beenden jeglicher Handlungen (also im wahrsten Sinn ein selbst bestimmtes Beenden des irdischen Daseins). Eine weite Gruppe sah den Ausweg in der Existenz eines unveränderlichen Innersten („ātman“), das frei ist von Karma. Die Buddhisten sahen den Ausweg aus dem Rad der Wiedergeburt im Aufgeben des Verlangens („desire“), nicht im Beenden des Handelns.

Als Konsequenz ist der Ansatz der Jain eher der des Asketismus, während vom Grundsatz her der buddhistische Ansatz eher ein tiefenpsychologischer ist. Aus der Postulierung eines unveränderlichen „inneren Selbst“ entstand sowohl die Saṃkha Philosophie als auch Vedānta.

Ausführlich diskutiert Bronkhorst auch die Auseinandersetzung der Brahmanen mit dem „neuen“ Konzept: von absoluter Ablehnung („so etwas ignorieren wir noch nicht einmal“) bis zu einem begeisterten Integrieren („das ist ganz klar aus den Veden herzuleiten“).

Ehrlich gesagt, ist das Buch recht trocken geschrieben – ein Wissenschaftler halt.

Dennoch sehr spannend, weil er mit naturwissenschaftlicher Logik die Konsequenzen der verschiedenen Sichtweisen analysiert. Bei dieser Gelegenheit erfährst Du auch viel über die Wechselwirkungen zwischen den konkurrierenden (sich aber auch ergänzenden) Glaubenssysteme im alten Indien. So wusste ich nicht, dass nach dem initialen Erfolg des Buddhismus vor 2.500 Jahren sehr viele Brahmanen zum Buddhismus wechselten, ohne aber ihre Machtposition als Brahmane aufzugeben. Die beste aller Welten.

Bronkhorst zitiert nur wenige Originaltexte – diese sind dann allerdings sehr interessant. Zum Beispiel findet er in der Bṛhadāraṇyaka Upaniṣad, der wohl ältesten upaniṣad, eine sehr deutliche Stelle, in der darauf hingewiesen wird, dass durch die sexuelle Vereinigung Karma zwischen den Liebenden ausgetauscht werden kann. Zum Thema „Ungleichgewicht zwischen den Geschlechtern“ auch schon vor 2.500 Jahren: wenn der Mann dies weiß, kann er sich positives Karma der Frau nutzbar machen – wenn er es nicht weiß, wird sich die Frau sein positives Karma nutzbar machen. Nun denn.

Wenn Du Dich in der Tiefe für die in der Yoga Philosophie, z.B. in der Yoga Sūtra des Patañjali verwendeten Konzepte interessierst, kann ich Dir das Buch sehr empfehlen. Es ist nicht „dogmatisch“, und Bronkhorst wirkt zumindest unparteiisch.

Glaube an Wiedergeburt bei den Pythagoräern und einigen der Gnostiker

Interessant fand ich auch seinen Hinweis gegen Ende des Buchs, dass die alten Griechen (wohl vor allem die pythagoräische Schule) wahrscheinlich unabhängig von den indischen Gedanken an Wiedergeburt glaubte. Auch die frühchristlichen Gnostiker glaubten teilweise daran – hier schließt er nicht aus, dass diese Gedanken über den Manichäismus (eine ursprünglich von dem Perser Mani im 3. Jahrhundert n. Chr. geründete Religion) auch das frühe Christentum beeinflusst haben.

Bronkhorst zieht auch Parallelen zwischen dem christlichen Erlösungsglauben und den indischen Gedanken – auch hier gab (und gibt) es asketische Richtungen und auch die Überzeugung, dass wir nicht identisch sind mit unserem sterblichen Körper.

Zum Abschluss lässt Bronkhorst die Leserin oder den Leser dann mit der provozierenden Frage zurück, ob nicht vielleicht es einen „fest verdrahteten“ Impuls zu Askese und an ein unsterbliches Innerstes in allen Menschen gibt – und insofern der Glaube an Karma nur eine Form ist, diese inneren Impulse in irgendeine konzeptionelle Form zu bringen.